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International Association Against Psychiatric Assault

c/o Lawyer/Rechtsanwalt André Raeber, Hinterbergstrasse 24, 6312 Steinhausen, Schweiz/Switzerland

The association is a Human Rights organization that opposes psychiatric coercion and aims to abolish psychiatric coercive measures altogether, promoting the fundamental rights of self-determination, liberty, and human dignity.

JOURNAL
der INTERNATIONAL ASSOCIATION AGAINST
PSYCHIATRIC ASSAULT

Nr. 2 – September 2004

ZWANGSPSYCHIATRIE
EIN
FOLTERSYSTEM

Von
Alice Halmi


Psychiatrische
Zwangsmaßnahmen sind eine “cruel, inhuman, degrading”
(CID)
Behandlung, bzw. Folter und Teil des Mandats von Menschenrechtsorganisationen

 


Ein
Plädoyer für ein Verständnis von Zwangspsychiatrie als Folter
und damit als Teil des Mandats von Menschenrechtsorganisationen.

Vorbemerkung:
Mit diesem Text wird der Versuch unternommen, Zwangspsychiatrie
bzw. psychiatrische Zwangsbehandlung und Unterbringung als Folter und als
nicht-medizinisches, (gesellschafts-)politisches Problem zu begreifen.

Ich verstehe diese Abhandlung als einen ersten Beitrag zu der Diskussion und
bitte zu beachten, dass ich den internen Diskurs von Menschenrechtsorganisationen
über Folter in diesem Papier unberücksichtigt gelassen habe.

Ich würde mich jedoch freuen, mit anderen Menschenrechtsgruppen, die
sich mit dem Thema Folter und CID-Treatment beschäftigen, in die Diskussion
zu treten.
Zunächst das, was international gilt:

Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte,
Artikel 5 (Verbot der Folter):
Niemand darf der Folter oder grausamer,
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen
werden.

Sehr wichtig
ist auch die Antifolterkonvention der UNO mit der darin enthaltenen Definition
von Folter:

Definition von Folter aus dem Übereinkommen
gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
oder Strafe (Antifolterkonvention), angenommen durch die Resolution
der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1984, in Kraft
getreten 1987:
Teil 1, Artikel 1, Absatz 1:

(1)
Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck “Folter”
jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche
oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel,
um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu
erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich
von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder
einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem
anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn
diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen
Dienstes oder einer anderen, in amtlicher Eigenschaft handelnden Person,
auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem
Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen
oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen
ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.

Um psychiatrischen
Zwang (sowie Entmündigung und Verfolgung) handelt es sich,
wenn
ein Mensch in einer psychiatrischen Anstalt gegen seinen Willen und mit fehlender
Krankheitseinsicht und fehlender Einwilligung in eine „Behandlung”
eingesperrt und diagnostiziert wird und an ihm zwangsweise schwere körperliche
Eingriffe mit psychiatrischen Drogen (Psychopharmaka) und Elektroschocks verübt
werden.

Des weiteren kann psychiatrischer Zwang aus der Fesselung ans Krankenhausbett
(„Fixierung”), der Nötigung zu Beschäftigungstherapien
und weiterer Entmündigung durch die ungewollte Bestellung einer amtlichen
Betreuung bestehen.

Darüber hinaus ist das vom Beurteilten ungewollte Bezeichnen als „geistig
krank” bzw. das Stellen einer psychiatrischen „Diagnose” (wie
z. B. „schizophren”) und der damit einhergehenden Beurteilung als
„nicht einsichtsfähige” und „nicht geschäftsfähige”
Person ein Element der Zwangspsychiatrie.

Außerdem erfahren viele Betroffene – einmal „diagnostiziert”
und in das psychiatrisch-staatliche System geraten – jahrelange Verfolgung
durch PsychiaterInnen, Gesundheitsämter oder sozialpsychiatrische Institutionen.

Psychiatrischer
Zwang erfüllt folgende Kriterien der Definition von Folter aus der Antifolterkonvention
der UNO:

1. Einer Person werden große körperliche oder seelische Schmerzen
oder Leiden zugefügt
2. Das Ziel ist die Aussage eines Geständnisses bzw. eine Aussage
3. Es geschieht, um die Person einzuschüchtern und zu nötigen
4. Gehandelt wird auf Grundlage von Diskriminierung.
5. Die Leiden werden auf Veranlassung und mit ausdrücklichem Einverständnis
von Angehörigen des öffentlichen Dienstes verursacht.

Zu 1.) Einer
Person werden große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden
zugefügt:
Psychopharmaka
verursachen sowohl körperliche als auch seelisch-geistige Leiden. Sie
greifen in nahezu sämtliche Körperfunktionen ein und rufen mit hoher
Wahrscheinlichkeit Symptome verschiedenster körperlicher Erkrankungen
hervor (wie z. B. Parkinson, Kreislaufbeschwerden, Herzschäden, Augenkrankheiten,
motorische Fehlfunktionen, Verhinderung des Sexualtriebs, krankhafte Veränderungen
des Blutbildes und des Knochenmarks etc.).

Auf seelischer und geistiger Ebene wirken Psychopharmaka (insbesondere Neuroleptika)
stark emotional und geistig beeinträchtigend: sie dämpfen und hemmen,
verursachen kognitive Störungen, Bewußtseins- und Persönlichkeitsveränderungen
und verursachen Sucht.1

Die sogenannte Elektrokrampftherapie (Elektroschock) erzeugt innere Kopfverletzungen:
es wird ein künstlicher epileptischer Anfall im Gehirn (Gehirnkrämpfe)
hervorgerufen, die Teile des Gehirns zerstören bzw. verändern. Gehirnblutungen,
kognitive Störungen und Gedächtnisverluste, intellektuelle und emotionale
Trübungen etc. sind die Folgen. Die Gefolterten verlassen die „EKT-Behandlung”
verängstigt oder apathisch.2

Die Erfahrung von Entrechtung, Freiheitsberaubung, Gewalt und Ohnmacht an
sich, das Eingesperrt sein, die Fesselung, die Verhinderung eines selbstbestimmten
Tagesablaufes, die Entmündigung durch einen Betreuer und die Stigmatisierung
durch eine oft lebenslang anhaftende psychiatrische „Diagnose”,
das Absprechen von Vernunft, Urteilsfähigkeit und Verantwortung und der
damit verbundene soziale Abstieg fügen den Betroffenen ebenfalls große
Leiden zu.

Darüber hinaus sind willkürliche Schikanen durch das Krankenhauspersonal
wie Beleidigungen, Bloßstellungen vor anderen, Nicht- ernst- nehmen,
Sich- lustig- machen und willkürliche Verbote gängige Praktiken
in psychiatrischen Anstalten. Es herrscht ein großes Machtgefälle
zwischen Krankenhauspersonal und Insassen, in dem die Machthaber in einem
quasi rechtsfreien Raum agieren können, d. h. ohne (oder nur sehr schwer)
für Verstöße gegen die (Menschen-)Rechte der Insassen zur
Rechenschaft gezogen werden zu können. Denn: Erstens wird „Verrückten”
nicht (oder weniger) geglaubt, wenn sie von erlittenen Demütigungen berichten
und zweitens werden willkürliche und nicht nachvollziehbare ‚Maßnahmen”
wie Besuchsverbote, Einsperren in Isolierzimmer (auch im Gefängnis übliche
Foltermethoden) oder Ausgangsverbote als therapeutische Maßnahmen dargestellt.3
Auch von Repressionen innerhalb von Anstalten, die auf Ereignisse wie beispielsweise
dem Singen von Insassen in fröhlicher Runde erfolgen, wird berichtet.

Das körperliche und seelische Leiden der von psychiatrischer Folter Betroffenen
geht oftmals weit über die Zeit der Internierung in einer psychiatrischen
Institution hinaus: Psychopharmaka und Elektroschocks verursachen unter Umständen
irreversible Spätschäden, zum Beispiel motorische Störungen
wie tardive Dyskinesien oder geistige Defizite. Die Insassen verlassen die
Psychiatrie mit angegriffenem Selbstwertgefühl und als verunsicherte
und verängstigte Personen und sind oft lebenslanger Verfolgung ausgesetzt.
Selbst in sogenannten medizinischen und psychologischen Fachkreisen wird von
Traumatisierung durch die Psychiatrie gesprochen.

Gesellschaftlich gesehen sind die langfristigen Folgen psychiatrischer Stigmatisierung
und Gewalt oft ein drastischer sozialer Abstieg: Verlust von gesellschaftlicher
Anerkennung, beruflichen Chancen und auch Wohnsitz. Einige Psychiatrieopfer
nehmen sich sogar aus Verzweiflung während oder in folge eines Psychiatrieaufenthaltes
das Leben.

Zu 2.) Das
Ziel ist ein Geständnis bzw. eine Aussage

Geständnisziel dieser Art von Folter ist die “Krankheitseinsicht”
und damit die “Behandlungswilligkeit”.
Die Krankheitseinsicht des Gefolterten ermöglicht es
– die oben genannten Mißhandlungen von Ärzten und son stigem Krankenhauspersonal
als medizinische
Maßnahmen und als Hilfeleistung zu verstehen und zu rechtfertigen.
– die Notwendigkeit des Freiheitsentzugs glaubhaft zu ma chen, Entrechtung
zu legitimieren
– Entmündigung als Betreuung, Schutz und Maßnahme zum angeblichen
Wohle der Betroffenen darzustellen
– Verleumdung und Diskriminierung zu verschleiern
– Menschen zu kontrollieren, gefügig und nach Möglich keit gesellschaftlich
und volkswirtschaftlich funktionsfä hig zu machen
– die Fortführung der sogenannten „Behandlung” außer
halb einer psychiatrischen Anstalt zu garantieren.
Vor allem für die Gewährleistung der dauerhaften Kontrollierbarkeit
einer psychiatrisierten Person hat das Geständnis ‚Krankheitseinsicht”
höchste Bedeutung und den größten Effekt, wenn es gelungen
ist, dass die durch

Folter

ein Beispiel

Ausschnitt,
entnommen dem „Dossier Heilberufe”, einer Informationsschrift
von amnesty international bzw. deren „Aktionsnetz Heilberufe”,

2. Ausgabe Mai 2000
(Quelle: http://www.ai-aktionsnetz-heilberufe.de/docs/ai_aktionsnetz/dossier.pdf)
Damit dokumentieren die Amnesty Heilberufe in Deutschland, wie sie zwangsweises
Elektroschocken nur in den Fällen als Folter zu sehen vermögen,
wenn es weit weg und von bestimmten Regimen ausgeübt wird
.

NSDAP Poster

die Folter gebrochene
Person nicht nur Krankheitseinsicht vorgibt, sondern am Ende auch glaubt,
„krank” zu sein.

Zu 3.) Es
geschieht, um die Person einzuschüchtern und zu nötigen

Es bedarf der Einschüchterung und der Nötigung
– um den Aufenthalt der Insassen in einer psychiatrischen Anstalt reibungs-
und widerstandslos zu gestalten,
– um zu dem Geständnisziel ‚Krankheitseinsicht” zu gelangen,
– und um so die unter Punkt 2 erwähnte Fortführung der Kontrolle
über die Person zu gewährleisten.
Die Misshandlungen sind ein Mittel, den Willen und den Widerstand der Betroffenen
zu brechen. Dazu beispielhaft ein Zitat des psychiatriekritischen Psychiaters
Peter Breggin: „Der Elektroschock wirkt auch deshalb, weil er Angst und
Schrecken verbreitet. Es ist so, wie einer meiner guten Freunde, den man elektrogeschockt
hat, gestern zu mir gesagt hat: ‚Nach dem ersten Schock hätte ich
alles getan, um entlassen zu werden. Ich machte dann alles, was sie von mir
wollten.” 4

Die Wirkungen von Psychopharmaka (insbesondere von Neuroleptika) und Elektroschocks,
nämlich die betroffenen Personen psychisch und motorisch zu hemmen und
zu dämpfen, sind nicht – wie oft fälschlicherweise angenommen- bloße
„Nebenwirkungen von heilenden Medikamenten”. Sie werden von den
anordnenden Ärzten vorsätzlich herbeigeführt, in der Regel
wohl wissend oder in Kauf nehmend, dass die Betroffenen darunter leiden und
dass die Ruhigstellung nach außenhin der menschlichen Umwelt (und den
Psychiatern selber) dient, aber nicht der Lösung für die dem ‚verrückten”
Verhalten möglicherweise zugrunde liegenden Probleme.

Darüber hinaus werden Psychopharmaka und Elektroschocks eingesetzt, um
gesellschaftlich unerwünschte und störende Emotionen und Gedanken
(z. B. Ärger, Antriebslosigkeit oder Niedergeschlagenheit) zu zerstören.
Es ist fragwürdig, ob das mit diesen Methoden gelingt, weist aber darauf
hin, dass damit der Versuch unternommen wird, Menschen gesellschaftlich funktionsfähig
zu machen.

Neben den unter Punkt 1) beschriebenen Misshandlungsmethoden ist die Gehirnwäsche
mittels psychiatrischer Ideologie ein gängiges Mittel zur Einschüchterung:
PsychiaterInnen (gestützt durch ihre Glaubwürdigkeit und Autorität
in Gesellschaft und Wissenschaft) und Krankenhauspersonal unter der Beteiligung
autoritätsgläubiger Angehöriger reden auf die vermeintliche
„PatientIn” ein, die sich, eingesperrt und mit Drogen benebelt und
dazu noch möglicherweise in einer Lebenskrise steckend, in einer ohnmächtigen
Lage befindet.
Gebräuchlich angeführt wird dabei die Lüge,da߄Unbehandelte”
ihr Leben lang chronisch krank bleiben.
Gehirnwäsche und Folter funktionieren so, dass sich bei den Betroffenen
Furcht vor lebenslanger Stigmatisierung als „psychisch Kranker”,
sich einstellender Lebensunfähigkeit, Wiederholung der erlittenen oder
gar noch schlimmeren Qualen (zum Beispiel Verabreichung einer Depotspritze
oder von Elektroschocks im Falle des Nichteinnehmens der Tabletten) und noch
längerem Anstaltsaufenthalt einstellt.

In einer Erklärung widerständiger Psychiatrieerfahrener wird daher
gefolgert: „Das Ende der Martern nur um den Preis sogenannter „Krankheits”-einsicht
führt in Verbindung mit falschen Hilfsversprechen zu einer breiten Akzeptanz
individualisierter Wahrnehmung der Unterdrückung. Gleichzeitig wird eine
falsche Hoffnung auf Wiedererlangen der eigenen Würde durch Identifikation
und vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem kolonialisierenden Apparat
erzeugt.5

Zu 4.) Gehandelt
wird auf Grundlage von Diskriminierung

Die Diskriminierung besteht aus der Etikettierung von Menschen als „geistig
krank” und der Vergabe von entsprechenden Diagnosen wie „schizophren”
oder „manisch-depressiv”.

Das Konzept der „psychischen Krankheit” beruht aber nicht, wie vielfach
angenommen, auf medizinisch-wissenschaftlichen Tatsachen, sondern auf Unterstellungen
von angeblich “krankhaften” Ursachen für unerwünschtes
Verhalten.6 Psychiatrische Diagnosen werden in letzter Zeit
verstärkt biologisch und genetisch begründet, so dass rassistisch-biologistische
Theorien wie „Geisteskrankheit als Erbkrankheit” Aufwind erhalten.

Verbunden mit den Diagnosen ist das Absprechen der Fähigkeit zur vernünftigen
Urteilsbildung, Einsicht und Selbstverantwortung. Beispielhaft ist die im
Betreuungsrecht festgelegte Definition eines „freien Willens”, der
durch die Merkmale „Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen
Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln” gekennzeichnet sei.
„Geistesgestörte” besitzen demnach keinen „freien Willen”,
wie im Betreuungsrecht erläutert wird.7

Psychiatriebetroffenen wird aufgrund dieser Diskriminierung und Behandlung
ihr Menschsein an sich als vernunftbegabtes, mündiges und zur Selbstbestimmung
fähiges, mit Würde ausgestattetes Wesen abgesprochen.
Die Diskriminierung ist die Grundlage für die Deklarierung der Folterungen
als medizinische Maßnahmen. Es werden Menschen zweiter Klasse geschaffen,
für die Sondergesetze gelten, deren Menschenwürde angetastet und
deren sämtliche Grundrechte bzw. Menschenrechte eingeschränkt bzw.
außer Kraft gesetzt werden dürfen.

Zu 5.) Die Leiden werden auf Veranlassung und mit ausdrücklichem Einverständnis
von Angehörigen des öffentlichen Dienstes verursacht

Psychiatrische Zwangsbehandlung und Unterbringung sowie die Bestellung einer
amtlichen „Betreuung” wird in Deutschland legitimiert über
die PsychKGs (psychisch Kranken Gesetze) und dem Betreuungsrecht.
Um eine Unterbringung bzw. Zwangsbehandlung im konkreten Falle zu genehmigen,
bedarf es eines ärztlichen Gutachtens, auf dessen Grundlage das Gericht
entscheidet. Falls eine amtliche BetreuerIn für die entsprechenden Zuständigkeitsbereiche
vorhanden ist, hat diese selber die Möglichkeit, eine Unterbringung anzuordnen.

Auch das örtliche Gesundheitsamt (sozialpsychiatrischer Dienst) und die
Polizei sind im Spiel: Mitarbeiter des Gesundheitsamtes haben die Berechtigung,
Psychiatrisierte ungewünscht in ihrer Wohnung aufzusuchen und gegebenenfalls
über Einweisung durch seine Amtsärzte ungewollte Unterbringungen
unter Zuhilfenahme von Polizeigewalt zu veranlassen.
Die Betroffenen haben die Möglichkeit, Einspruch gegen Unterbringung
und Zwangsbehandlung zu erheben und bekommen einen anwaltlichen Pflichtverteidiger
zugewiesen, was jedoch in den wenigsten Fällen zu einer Aufhebung der
Unterbringung/Zwangsbehandlung führt, da die Gerichte den Ärzten
in aller Regel Folge leisten.

Psychiatrische
Folter unter dem Deckmantel der Medizin

PsychiaterInnen, Krankenhauspersonal und GesetzgeberInnen behaupten, zum Wohle
der Betroffenen zu handeln und Hilfe zu leisten. Im Gegensatz zur ärztlichen
Behandlung nicht psychiatrisch diagnostizierter Menschen, die der Einwilligung
der Patienten bedarf, erfolgen „Behandlung”, Unterbringung und „Betreuung”
in der Zwangspsychiatrie auch ohne Einwilligung der Betroffenen und damit
ohne Berücksichtigung dessen, ob diese selber der Ansicht sind, es sei
zu ihrem Wohle.
Der Freiheitsentzug wird häufig begründet mit der Zuschreibung von
Personen als „selbst- oder fremdgefährdend”. Hierbei handelt
es sich nicht um das Resultat begangener Straftaten – was als Grund für
die Inhaftierung ‚normaler” Straftäter gilt -, sondern um eine
subjektive Unterstellung potentiellen zukünftigen Verhaltens einer Person,
der ihre Verantwortlichkeit abgesprochen wird. Die Internierung in psychiatrischen
Anstalten gerät somit zu einer Art von Schutzhaft.
Aufgrund des Fehlens der Einwilligung eines „Patienten” in psychiatrische
Behandlung kann diese weder als medizinisch oder therapeutisch noch als Hilfeleistung
gelten, sondern muß als schwere Menschenrechtsverletzung und als ein
autoritärer und paternalistischer Akt bewertet werden.

Pychiatrische Folter und psychiatrische Ideologie im Dienst sozialer Kontrolle
und Herrschaft
Edward Peters, der sich in seinem Buch „Folter. Geschichte der
peinlichen Befragung”
8 mit Wesen und Zweck der Folter
befasst, konstatiert, dass ein „spezielles Element der Folter
[…] die Quälerei” ist, „der jemand seitens einer
staatlichen Instanz aus vorgeblich öffentlichem Interesse unterworfen
wird”
(S.23). Folter soll demnach als „Ausdruck der Auffassung
einer Regierung über die staatliche Ordnung”
gesehen werden
(S.10). Ziel der Folter kann auch sein, „den Willen des Opfers zu
brechen”
, damit es sich einem System und einer Ideologie unterwirft
(S.208). Dabei setzt „Jede Ideologie […] ein Menschenbild voraus,
eine Vorstellung davon, was menschliche Wesen sind und wie mit ihnen umgegangen
werden muß, um die Gesellschaft aufbauen zu können, die die jeweilige
Ideologie fordert”
(S.210).
Auch hinter psychiatrischer Folter stecken bestimmte Vorstellungen über
eine gesellschaftliche Ordnung und politische Ziele, eine Ideologie und ein
dem zugrunde liegendes Menschenbild:
auf der einen Seite das Bild des idealtypisch vernünftigen und rational
denkenden Menschen und eine gesellschaftlich konstruierte Norm für einen
„gesunden” und „normalen” Menschen, der den gesellschaftlichen
und ökonomischen Gegebenheiten angepaßt ist.
Im Gegensatz dazu steht auf der anderen Seite der unvernünftige, irrationale
„Geisteskranke”, der stört, verunsichert, nicht funktioniert
und weniger verwertbar und nützlich für Gesellschaft und Wirtschaft
ist.
Auch der US – amerikanische Psychiatriekritiker und Psychiater Ron Leifer
geht von dem Bestehen einer psychiatrischen Ideologie aus:9
„Das medizinische Modell gibt vor, wissenschaftlich zu sein, aber
es funktioniert wie eine Ideologie. Es ist eine Ideologie, weil es die Ähnlichkeiten
zwischen ‚medizinischer Krankheit” und “geistiger Krankheit”
hervorhebt, nämlich, das beide Leiden und Unvermögen nach sich ziehen
.
Und es leugnet die Unterschiede, nämlich, dass das aus ‚medizinischer
Krankheit” entsprungene Leiden und Unvermögen durch nachweisbare
Veränderungen im Körper verursacht worden ist, während das
aus “geistiger Krankheit” hervorgegangene Leiden und Unvermögen
keine nachweisbaren körperliche Ursachen hat und stattdessen zurückzuführen
ist auf Sprache (speech), Gefühle und soziales Verhalten (social conduct).

“Das
soziale Interesse, welches durch das medizinische Modell bedient wird,
ist das öffentliche Mandat für einen höheren Grad an
sozialer Kontrolle, als es über die Herrschaft des Gesetzes gewährleistet
werden kann. Indem es bestimmtes Verhalten als geistige Krankheit etikettiert,
[…] ermöglicht und rechtfertigt das medizinische Modell eine
außer-gesetzliche, verdeckte Form von sozialer Kontrolle. Im Gegensatz
zu Personen, die als körperlich krank diagnostiziert werden, […]
werden Personen, die als schwerwiegend g
eistig krank “diagnostiziert”
wurden, ihrer Freiheit beraubt, ohne Anklage oder Verhandlung und werden
gezwungen, Drogen zu nehmen und andere “Behandlungen” gegen
ihren Willen zu erfahren. Im Lichte des medizinischen Modells erscheinen
diese Menschenrechtsverletzungen als medizinische Behandlung und werden
als solche gerechtfertigt.”
(Leifer)

“Das medizinische Modell entwickelte sich als Ideologie in einem
historischen und politischen Kontext”
, nämlich dem der
europäischen Aufklärung. Denn der moderne Staat einer aufgeklärten
Gesellschaft, die sich für eine freie hält, kann es sich nicht
mehr leisten, über Strafgesetze oder willkürliche Erlasse
Menschen ihrer Freiheit zu berauben, die keine Straftat begangen haben,
sondern sich nur ungewöhnlich verhalten bzw. denken oder stören.
Daher brauchen diese Gesellschaften das medizinische Modell (die psychiatrische
Ideologie), um die soziale Kontrolle ausüben zu können.”

Zusammenfassung

Die Folter und die Schaffung von Ausschlussgebieten durch Wegsperren
in Institutionen und durch soziale Ausgrenzung entspringt dem gesellschaftlichen
Bedürfnis, Menschen der politisch, sozial und wirtschaftlich gewünschten
Norm anzupassen, indem der Versuch unternommen wird, sie glauben zu
lassen, es sei zu ihrem Wohle oder sie zumindest zu überwachen,
unerwünschtes Verhalten einzudämmen bzw. mißliebige
Personen aus dem öffentlichen Leben fernzuhalten.


1.
Zu der Wirkweise von Psychopharmaka siehe u.a. Peter Lehmann: “Der
chemische Knebel. Warum Psychiater Neuroleptika verabreichen” Berlin:
Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1990 [DEUTSCH]
sowie: Breggin, Peter: Giftige Psychiatrie. Band 1. Heidelberg: Carl Auer
Verlag 1996 [ENGLISH]
2. Weitere Informationen zu Elektroschocks: Breggin, Peter: auf dem Weg
zum Verbot des Elektroschocks. Protokoll der Anhörung des Psychiaters
Peter Breggin vor dem San Francisco City Services Committee vom November
1990. In: Statt Psychiatrie. [ENGLISH]Berlin:
Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1993. Auch nachzulesen unter:
http://www.bpe-online.de/index-sik.htm [DEUTSCH]
3. Fallbeispiele siehe “Berichte aus der Wirklichkeit” unter:
http://www.psychiatrie-erfahrene.de/berichte.htm [DEUTSCH]
4. Breggin, Peter: auf dem Weg zum Verbot des Elektroschocks. In: Statt
Psychiatrie. [ENGLISH] Berlin: Peter Lehmann
Antipsychiatrieverlag 1993, S. 162 oder unter: http://www.bpe-online.de/index-sik.htm
[DEUTSCH]
5. http://www.psychiatrie-erfahrene.de/io11/kolonialisierte_subjekt.htm
[DEUTSCH]
6. Zum psychiatrischen Krankheitsbegriff siehe z. B. Szasz, Thomas S.:
Geisteskrankheit – Ein moderner Mythos. [DEUTSCH]
(The myth of mental illness. [ENGLISH]) Zuerst
veröffentlicht in American Psychologist, 15, 1960, S.113 – 118. Nachzulesen
unter: http://www.psychclassics.yorku.ca/Szasz/muth.htm [ENGLISH]
7. Bundesrats-Drucksache 865/03, nachzulesen unter:
http://www.vgt.-ev.de/Gesetze/ BtAndG03.pdf [DEUTSCH]
8. Peters, Edward: Folter. Geschichte der peinlichen Befragung. Hamburg:
Europäische Verlagsanstalt 1991[DEUTSCH]
9. Alle folgenden Zitate sind übersetzt aus: Leifer, Ron: A Critique
of Psychiatry and an Invitation to Dialogue. Veröffentlicht in Ethical
human Science and Services, Dezember 27, 2000 auch nachzulesen unter:
http://www.freedom-of-thought.de/zwang/leifer.htm [ENGLISH]
Anmerkung: Aus pragmatischen Gründen wurde in diesem Text
auf die geschlechtsneutrale Schreibweise verzichtet.

Amnesty Position
zur Folter in der Psychiatrie

Wo steht
z.B. Amnesty International (AI) als eine der bekanntesten Menschenrechtsorganisationen
in der Frage der Anerkennung von Zwangspsychiatrie als Folter? Den
bahnbrechenden Beschluß hat 1991 das oberste internationale
Gremium von AI, der alle zwei Jahre tagende Internationale Rat, in
Yokohama unter dem Titel „Psychiatrische Einsperrung “ (psychiatric
confinement) gefasst. Er lautet: „Der Internationale Rat entscheidet,
dass sich AI´s Mandate zu grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung oder Bestrafung von Gefangenen auf alle Personen erstreckt,
die mit Zwang in psychiatrischen Institutionen festgehalten werden,
obwohl AI nicht auf den Bereich von Behandlung eingeht, der von AI
nach AI-eigener Definition für authentisch medizinisch erachtet
wird.”

Damit
hat AI sich selbst in die Lage versetzt, die Kriterien festzulegen,
was “authentisch medizinische” Behandlung ist und wie sie
sich von nicht-medizinischer, mit Zwang und Gewalt durchgeführter
Mißhandlung unterscheidet. Das Problem dabei ist: Einerseits
kann nahezu jede Strafhandlung auch einverständlich, z.B. in
einem sexuellen Spiel, ausgeübt werden. Andererseits muß
ausgeschlossen werden, dass einfach ein Staat medizinische Institutionen
zur Fassade von Folterzentren macht. Für die Unterscheidung ums
Ganze bleibt dann als Kriterium nur das Einverständnis des Betroffenen
übrig, seine Einwilligung oder seine Ablehnung einer Behandlung.
Klassisch heißt das „informed consent” und ist die
Grundlage für medizinische Behandlung, weil ohne Einverständnis
von vornherein schon der hippokratische Eid, nämlich nicht zu
schaden, verletzt wird, da der zum Ausdruck gebrachte Wille der Person
gebrochen wird. Deshalb kann das Ergebnis der Definition von “authentisch
medizinisch” von einem menschenrechtlichen Standpunkt aus nur
sein: Zwangspsychiatrie ist weder mit Medizin noch Moral vereinbar,
sondern politisch motivierte Folter und Entwürdigung.

Da die Konkretisierung dessen, was “authentisch medizinisch”
heißt, noch aussteht, geht AI
– bildlich gesprochen – seit 1991 mit der Klassifizierung von Zwangspsychiatrie
als Folter schwanger, ohne sich dessen klar bewußt geworden
zu sein.

Redaktion
Zwang

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