top

International Association Against Psychiatric Assault

c/o Lawyer/Rechtsanwalt André Raeber, Hinterbergstrasse 24, 6312 Steinhausen, Schweiz/Switzerland

The association is a Human Rights organization that opposes psychiatric coercion and aims to abolish psychiatric coercive measures altogether, promoting the fundamental rights of self-determination, liberty, and human dignity.

JOURNAL
der INTERNATIONAL ASSOCIATION AGAINST
PSYCHIATRIC ASSAULT

Nr. 2 – September 2004

Folter
zur Debatte?

Von
René Talbot


Zwangspsychiatrie
und die Folterdebatte in der westlichen Welt


Der
Schwerpunkt dieser Ausgabe der „Zwang” – Zwangspsychiatrie
ist Folter – dient dem Nachweis, dass die folgenden Sätze in den Satzungen
von IAAPA
und Irren-Offensive
nicht nur die subjektive Sicht der Betroffenen wiedergeben, sondern eine zutreffende,
„objektive“ Zustandsbeschreibung sind: Hiermit erklären
wir als eine Art Folter: psychiatrische Verfolgung, willkürliche psychiatrische
Einsperrung und körperlichen psychiatrischen Zwang zum Eindringen in
den Körper – Behandlung mit Drogen, Elektroschock, Psychochirurgie, Fixierung
u.a. Diese Maßnahmen wurden seit Bestehen der Zwangspsychiatrie immer
und immer wieder von Menschen überall auf der Welt als Folter bezeichnet,
unabhängig davon, ob jemand von medizinischem Personal als “geschäftsunfähig”
bezeichnet wurde und der Ort dieser Maßnahmen eine „medizinische
Einrichtung“ namens „Krankenhaus“ sein soll.

Mit diesem Nachweis wird das Ungeheuerliche von Zwangspsychiatrie begrifflich
erfaßbar, bedeutet er doch nicht mehr und nicht weniger, als dass durch
die Analyse „Folter“ das ganze, an Zwangspsychiatrie beteiligte
Berufsgeflecht kriminalisiert wird: Die gutachtenden Psychiater, ihre bei
der Ausübung der Folter behilflichen Subordinierten und die Justiz, die
tatsächlich gegebene Ermessungsspielräume des Rechts auf Krankheit
systematisch gegen die Betroffenen wendet.

Um die Dimension des Schreckens von Zwangspsychiatrie zu verdeutlichen, ist
es sehr sinnvoll, sich die aktuellen Folterdebatten in den USA und der BRD
vor Augen zu führen: einerseits Abu Ghraib als Sinnbild für offenbar
weltweit Dutzende von Folterzentren der US-Geheimdienste und andererseits
die Eröffnung des Verfahrens gegen den Vizepräsidenten der Frankfurter
Polizei Daschner. In beiden Fällen scheint die offizielle Sprachregelung
Bestand zu behalten, dass Folter (im internationalen Fachjargon: „cruel,
degrading, inhumane treatment”) Verbrechen ist und bleibt.

In den USA haben der Präsident und das Verteidigungsministerium 2002
ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass Folter in eine zulässige und eine
unzulässige Form der Nötigung zu unterteilen versucht. Interessant
dabei ist, dass das zwangsweise Verabreichen von „mind altering drugs“
selbst bei diesem Versuch, bestimmte Formen der Folter zu legitimieren, regelmäßig
als schwere Folter angesehen wird. Siehe den Bericht der NY Times vom 27.
Juni 2004 „Word for Word“ von Kate Zernike: www.nytimes.com/2004/06/27/weekinreview/27word.html

In Deutschland gilt die Aufmerksamkeit der Drohungen Daschners mit körperlichen
Mißhandlungen dem Mörder und Entführer zwar mehr den Umständen
der Folterung – der falschen Hoffnung, damals unmittelbar ein Kind retten
zu können. Wichtiger für unseren Kontext ist jedoch der juristisch
breite Konsens in die Verwerflichkeit des Tuns und der wichtige Hinweis: Folter
ist auch schon Folter, wenn nur mit ihr gedroht wird: Die Option auf die Einweisung
in eine geschlossene Abteilung und die dort übliche Zwangsbehandlung
ist schon die Nötigung, die das ganze psychiatrische System zu einem
Gulag, zu einem „Kerkersystem mit Folterregime” (Foucault) macht.

Nötigung, die Drohung mit Gewalt und angewandte Gewalt, stehen also im
Zentrum des Begriffs der Folter. Diese Nötigung zu einem Geständnis
macht Zwangspsychiatrie zur Folter, die Nötigung zu dem Geständnis
„Krankheitseinsicht“ in eine nicht vorhandene „Krankheit“,
also die Nötigung zu einer selbstverleumderischen Lüge. Dem Einwand,
wenn man Zwangspsychiatrie mit den schweren körperlichen, oft sogar tötlichen
Formen der Folter gleichsetze, würden diese schweren Verbrechen verharmlost
bzw. deren Opfer unzulässig relativiert, muß entschieden entgegengetreten
werden: Einerseits verwenden Folterer immer ausgetüfteltere Methoden,
um keine körperlichen Spuren der Folter bei Freigekommenen zu hinterlassen,
damit die Verbrechen schwerer verfolgt werden können, ohne dass sie dies
„relativieren“ könnte. Andererseits ist gerade die Aufmerksamkeit
auf „unspektakuläre“, nahezu „harmlos“ erscheinende
Folter ein Schutz auch vor deren drastischen Formen, denn die Aufmerksamkeit
und der Blick für entmenschlichende Handlungen wird so insgesamt geschärft.

Obwohl nun in der BRD wie den USA zwar öffentlich die Aufweichung des
Folterbegriffs debattiert wurde, wurde sie letztendlich aber auch vom White
House verworfen. Das wirft noch einmal mehr Licht auf den riesigen blinden
Fleck, der in der Wahrnehmung der psychiatrischen Zwangspraktiken herrscht.
Ohne dass die Hoffnung besteht – wie bei Daschner – , ein entführtes
Kind vor dem Tod zu bewahren, wird eingesperrt, gedroht, gedemütigt,
grausam und entmenschlichend ans Bett gefesselt, werden zwangsweise bewußtseinsverändernde
Drogen gespritzt und sogar zwangsweise elektrogeschockt; alles anerkannte
Verbrechen der Staatsorgane, wenn sie nicht an willkürlich zu „geisteskrank“
Erklärten begangen werden, an Menschen, die damit 60 Jahre nach dem Ende
der Naziherrschaft immer noch rechtlich den Status von Untermenschen haben.

home
and impressum

Skip to toolbar