ZWANGSPSYCHIATRIE
EIN
FOLTERSYSTEM

Von Alice Halmi


Psychiatrische Zwangsmaßnahmen sind eine "cruel, inhuman, degrading" (CID)
Behandlung, bzw. Folter und Teil des Mandats von Menschenrechtsorganisationen
 

Ein Plädoyer für ein Verständnis von Zwangspsychiatrie als Folter und damit als Teil des Mandats von Menschenrechtsorganisationen.

Vorbemerkung:
Mit diesem Text wird der Versuch unternommen, Zwangspsychiatrie bzw. psychiatrische Zwangsbehandlung und Unterbringung als Folter und als nicht-medizinisches, (gesellschafts-)politisches Problem zu begreifen.

Ich verstehe diese Abhandlung als einen ersten Beitrag zu der Diskussion und bitte zu beachten, dass ich den internen Diskurs von Menschenrechtsorganisationen über Folter in diesem Papier unberücksichtigt gelassen habe.

Ich würde mich jedoch freuen, mit anderen Menschenrechtsgruppen, die sich mit dem Thema Folter und CID-Treatment beschäftigen, in die Diskussion zu treten.
Zunächst das, was international gilt:

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,
Artikel 5 (Verbot der Folter):
Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

Sehr wichtig ist auch die Antifolterkonvention der UNO mit der darin enthaltenen Definition von Folter:

Definition von Folter aus dem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Antifolterkonvention), angenommen durch die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1984, in Kraft getreten 1987:
Teil 1, Artikel 1, Absatz 1:

(1) Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck "Folter" jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen, in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.

Um psychiatrischen Zwang (sowie Entmündigung und Verfolgung) handelt es sich,
wenn ein Mensch in einer psychiatrischen Anstalt gegen seinen Willen und mit fehlender Krankheitseinsicht und fehlender Einwilligung in eine „Behandlung” eingesperrt und diagnostiziert wird und an ihm zwangsweise schwere körperliche Eingriffe mit psychiatrischen Drogen (Psychopharmaka) und Elektroschocks verübt werden.

Des weiteren kann psychiatrischer Zwang aus der Fesselung ans Krankenhausbett („Fixierung”), der Nötigung zu Beschäftigungstherapien und weiterer Entmündigung durch die ungewollte Bestellung einer amtlichen Betreuung bestehen.

Darüber hinaus ist das vom Beurteilten ungewollte Bezeichnen als „geistig krank” bzw. das Stellen einer psychiatrischen „Diagnose” (wie z. B. „schizophren”) und der damit einhergehenden Beurteilung als „nicht einsichtsfähige” und „nicht geschäftsfähige” Person ein Element der Zwangspsychiatrie.

Außerdem erfahren viele Betroffene - einmal „diagnostiziert” und in das psychiatrisch-staatliche System geraten - jahrelange Verfolgung durch PsychiaterInnen, Gesundheitsämter oder sozialpsychiatrische Institutionen.

Psychiatrischer Zwang erfüllt folgende Kriterien der Definition von Folter aus der Antifolterkonvention der UNO:
1. Einer Person werden große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt
2. Das Ziel ist die Aussage eines Geständnisses bzw. eine Aussage
3. Es geschieht, um die Person einzuschüchtern und zu nötigen
4. Gehandelt wird auf Grundlage von Diskriminierung.
5. Die Leiden werden auf Veranlassung und mit ausdrücklichem Einverständnis von Angehörigen des öffentlichen Dienstes verursacht.

Zu 1.) Einer Person werden große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt:
Psychopharmaka verursachen sowohl körperliche als auch seelisch-geistige Leiden. Sie greifen in nahezu sämtliche Körperfunktionen ein und rufen mit hoher Wahrscheinlichkeit Symptome verschiedenster körperlicher Erkrankungen hervor (wie z. B. Parkinson, Kreislaufbeschwerden, Herzschäden, Augenkrankheiten, motorische Fehlfunktionen, Verhinderung des Sexualtriebs, krankhafte Veränderungen des Blutbildes und des Knochenmarks etc.).

Auf seelischer und geistiger Ebene wirken Psychopharmaka (insbesondere Neuroleptika) stark emotional und geistig beeinträchtigend: sie dämpfen und hemmen, verursachen kognitive Störungen, Bewußtseins- und Persönlichkeitsveränderungen und verursachen Sucht.1

Die sogenannte Elektrokrampftherapie (Elektroschock) erzeugt innere Kopfverletzungen: es wird ein künstlicher epileptischer Anfall im Gehirn (Gehirnkrämpfe) hervorgerufen, die Teile des Gehirns zerstören bzw. verändern. Gehirnblutungen, kognitive Störungen und Gedächtnisverluste, intellektuelle und emotionale Trübungen etc. sind die Folgen. Die Gefolterten verlassen die „EKT-Behandlung” verängstigt oder apathisch.2

Die Erfahrung von Entrechtung, Freiheitsberaubung, Gewalt und Ohnmacht an sich, das Eingesperrt sein, die Fesselung, die Verhinderung eines selbstbestimmten Tagesablaufes, die Entmündigung durch einen Betreuer und die Stigmatisierung durch eine oft lebenslang anhaftende psychiatrische „Diagnose”, das Absprechen von Vernunft, Urteilsfähigkeit und Verantwortung und der damit verbundene soziale Abstieg fügen den Betroffenen ebenfalls große Leiden zu.

Darüber hinaus sind willkürliche Schikanen durch das Krankenhauspersonal wie Beleidigungen, Bloßstellungen vor anderen, Nicht- ernst- nehmen, Sich- lustig- machen und willkürliche Verbote gängige Praktiken in psychiatrischen Anstalten. Es herrscht ein großes Machtgefälle zwischen Krankenhauspersonal und Insassen, in dem die Machthaber in einem quasi rechtsfreien Raum agieren können, d. h. ohne (oder nur sehr schwer) für Verstöße gegen die (Menschen-)Rechte der Insassen zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Denn: Erstens wird „Verrückten” nicht (oder weniger) geglaubt, wenn sie von erlittenen Demütigungen berichten und zweitens werden willkürliche und nicht nachvollziehbare ‚Maßnahmen” wie Besuchsverbote, Einsperren in Isolierzimmer (auch im Gefängnis übliche Foltermethoden) oder Ausgangsverbote als therapeutische Maßnahmen dargestellt.3 Auch von Repressionen innerhalb von Anstalten, die auf Ereignisse wie beispielsweise dem Singen von Insassen in fröhlicher Runde erfolgen, wird berichtet.

Das körperliche und seelische Leiden der von psychiatrischer Folter Betroffenen geht oftmals weit über die Zeit der Internierung in einer psychiatrischen Institution hinaus: Psychopharmaka und Elektroschocks verursachen unter Umständen irreversible Spätschäden, zum Beispiel motorische Störungen wie tardive Dyskinesien oder geistige Defizite. Die Insassen verlassen die Psychiatrie mit angegriffenem Selbstwertgefühl und als verunsicherte und verängstigte Personen und sind oft lebenslanger Verfolgung ausgesetzt. Selbst in sogenannten medizinischen und psychologischen Fachkreisen wird von Traumatisierung durch die Psychiatrie gesprochen.

Gesellschaftlich gesehen sind die langfristigen Folgen psychiatrischer Stigmatisierung und Gewalt oft ein drastischer sozialer Abstieg: Verlust von gesellschaftlicher Anerkennung, beruflichen Chancen und auch Wohnsitz. Einige Psychiatrieopfer nehmen sich sogar aus Verzweiflung während oder in folge eines Psychiatrieaufenthaltes das Leben.

Zu 2.) Das Ziel ist ein Geständnis bzw. eine Aussage
Geständnisziel dieser Art von Folter ist die “Krankheitseinsicht” und damit die “Behandlungswilligkeit”.
Die Krankheitseinsicht des Gefolterten ermöglicht es
- die oben genannten Mißhandlungen von Ärzten und son stigem Krankenhauspersonal als medizinische
Maßnahmen und als Hilfeleistung zu verstehen und zu rechtfertigen.
- die Notwendigkeit des Freiheitsentzugs glaubhaft zu ma chen, Entrechtung zu legitimieren
- Entmündigung als Betreuung, Schutz und Maßnahme zum angeblichen Wohle der Betroffenen darzustellen
- Verleumdung und Diskriminierung zu verschleiern
- Menschen zu kontrollieren, gefügig und nach Möglich keit gesellschaftlich und volkswirtschaftlich funktionsfä hig zu machen
- die Fortführung der sogenannten „Behandlung” außer halb einer psychiatrischen Anstalt zu garantieren.
Vor allem für die Gewährleistung der dauerhaften Kontrollierbarkeit einer psychiatrisierten Person hat das Geständnis ‚Krankheitseinsicht” höchste Bedeutung und den größten Effekt, wenn es gelungen ist, dass die durch

Folter -
ein Beispiel

Ausschnitt, entnommen dem „Dossier Heilberufe”, einer Informationsschrift von amnesty international bzw. deren „Aktionsnetz Heilberufe”,
2. Ausgabe Mai 2000
(Quelle: http://www.ai-aktionsnetz-heilberufe.de/docs/ai_aktionsnetz/dossier.pdf)
Damit dokumentieren die Amnesty Heilberufe in Deutschland, wie sie zwangsweises Elektroschocken nur in den Fällen als Folter zu sehen vermögen, wenn es weit weg und von bestimmten Regimen ausgeübt wird
.

NSDAP Poster

die Folter gebrochene Person nicht nur Krankheitseinsicht vorgibt, sondern am Ende auch glaubt, „krank” zu sein.

Zu 3.) Es geschieht, um die Person einzuschüchtern und zu nötigen
Es bedarf der Einschüchterung und der Nötigung
- um den Aufenthalt der Insassen in einer psychiatrischen Anstalt reibungs- und widerstandslos zu gestalten,
- um zu dem Geständnisziel ‚Krankheitseinsicht” zu gelangen,
- und um so die unter Punkt 2 erwähnte Fortführung der Kontrolle über die Person zu gewährleisten.
Die Misshandlungen sind ein Mittel, den Willen und den Widerstand der Betroffenen zu brechen. Dazu beispielhaft ein Zitat des psychiatriekritischen Psychiaters Peter Breggin: „Der Elektroschock wirkt auch deshalb, weil er Angst und Schrecken verbreitet. Es ist so, wie einer meiner guten Freunde, den man elektrogeschockt hat, gestern zu mir gesagt hat: ‚Nach dem ersten Schock hätte ich alles getan, um entlassen zu werden. Ich machte dann alles, was sie von mir wollten.” 4

Die Wirkungen von Psychopharmaka (insbesondere von Neuroleptika) und Elektroschocks, nämlich die betroffenen Personen psychisch und motorisch zu hemmen und zu dämpfen, sind nicht - wie oft fälschlicherweise angenommen- bloße „Nebenwirkungen von heilenden Medikamenten”. Sie werden von den anordnenden Ärzten vorsätzlich herbeigeführt, in der Regel wohl wissend oder in Kauf nehmend, dass die Betroffenen darunter leiden und dass die Ruhigstellung nach außenhin der menschlichen Umwelt (und den Psychiatern selber) dient, aber nicht der Lösung für die dem ‚verrückten” Verhalten möglicherweise zugrunde liegenden Probleme.

Darüber hinaus werden Psychopharmaka und Elektroschocks eingesetzt, um gesellschaftlich unerwünschte und störende Emotionen und Gedanken (z. B. Ärger, Antriebslosigkeit oder Niedergeschlagenheit) zu zerstören. Es ist fragwürdig, ob das mit diesen Methoden gelingt, weist aber darauf hin, dass damit der Versuch unternommen wird, Menschen gesellschaftlich funktionsfähig zu machen.

Neben den unter Punkt 1) beschriebenen Misshandlungsmethoden ist die Gehirnwäsche mittels psychiatrischer Ideologie ein gängiges Mittel zur Einschüchterung:
PsychiaterInnen (gestützt durch ihre Glaubwürdigkeit und Autorität in Gesellschaft und Wissenschaft) und Krankenhauspersonal unter der Beteiligung autoritätsgläubiger Angehöriger reden auf die vermeintliche „PatientIn” ein, die sich, eingesperrt und mit Drogen benebelt und dazu noch möglicherweise in einer Lebenskrise steckend, in einer ohnmächtigen Lage befindet.
Gebräuchlich angeführt wird dabei die Lüge,daß„Unbehandelte” ihr Leben lang chronisch krank bleiben.
Gehirnwäsche und Folter funktionieren so, dass sich bei den Betroffenen Furcht vor lebenslanger Stigmatisierung als „psychisch Kranker”, sich einstellender Lebensunfähigkeit, Wiederholung der erlittenen oder gar noch schlimmeren Qualen (zum Beispiel Verabreichung einer Depotspritze oder von Elektroschocks im Falle des Nichteinnehmens der Tabletten) und noch längerem Anstaltsaufenthalt einstellt.

In einer Erklärung widerständiger Psychiatrieerfahrener wird daher gefolgert: „Das Ende der Martern nur um den Preis sogenannter „Krankheits”-einsicht führt in Verbindung mit falschen Hilfsversprechen zu einer breiten Akzeptanz individualisierter Wahrnehmung der Unterdrückung. Gleichzeitig wird eine falsche Hoffnung auf Wiedererlangen der eigenen Würde durch Identifikation und vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem kolonialisierenden Apparat erzeugt.5

Zu 4.) Gehandelt wird auf Grundlage von Diskriminierung
Die Diskriminierung besteht aus der Etikettierung von Menschen als „geistig krank” und der Vergabe von entsprechenden Diagnosen wie „schizophren” oder „manisch-depressiv”.

Das Konzept der „psychischen Krankheit” beruht aber nicht, wie vielfach angenommen, auf medizinisch-wissenschaftlichen Tatsachen, sondern auf Unterstellungen von angeblich "krankhaften” Ursachen für unerwünschtes Verhalten.6 Psychiatrische Diagnosen werden in letzter Zeit verstärkt biologisch und genetisch begründet, so dass rassistisch-biologistische Theorien wie „Geisteskrankheit als Erbkrankheit” Aufwind erhalten.

Verbunden mit den Diagnosen ist das Absprechen der Fähigkeit zur vernünftigen Urteilsbildung, Einsicht und Selbstverantwortung. Beispielhaft ist die im Betreuungsrecht festgelegte Definition eines „freien Willens”, der durch die Merkmale „Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln” gekennzeichnet sei. „Geistesgestörte” besitzen demnach keinen „freien Willen”, wie im Betreuungsrecht erläutert wird.7

Psychiatriebetroffenen wird aufgrund dieser Diskriminierung und Behandlung ihr Menschsein an sich als vernunftbegabtes, mündiges und zur Selbstbestimmung fähiges, mit Würde ausgestattetes Wesen abgesprochen.
Die Diskriminierung ist die Grundlage für die Deklarierung der Folterungen als medizinische Maßnahmen. Es werden Menschen zweiter Klasse geschaffen, für die Sondergesetze gelten, deren Menschenwürde angetastet und deren sämtliche Grundrechte bzw. Menschenrechte eingeschränkt bzw. außer Kraft gesetzt werden dürfen.

Zu 5.) Die Leiden werden auf Veranlassung und mit ausdrücklichem Einverständnis von Angehörigen des öffentlichen Dienstes verursacht
Psychiatrische Zwangsbehandlung und Unterbringung sowie die Bestellung einer amtlichen „Betreuung” wird in Deutschland legitimiert über die PsychKGs (psychisch Kranken Gesetze) und dem Betreuungsrecht.
Um eine Unterbringung bzw. Zwangsbehandlung im konkreten Falle zu genehmigen, bedarf es eines ärztlichen Gutachtens, auf dessen Grundlage das Gericht entscheidet. Falls eine amtliche BetreuerIn für die entsprechenden Zuständigkeitsbereiche vorhanden ist, hat diese selber die Möglichkeit, eine Unterbringung anzuordnen.
Auch das örtliche Gesundheitsamt (sozialpsychiatrischer Dienst) und die Polizei sind im Spiel: Mitarbeiter des Gesundheitsamtes haben die Berechtigung, Psychiatrisierte ungewünscht in ihrer Wohnung aufzusuchen und gegebenenfalls über Einweisung durch seine Amtsärzte ungewollte Unterbringungen unter Zuhilfenahme von Polizeigewalt zu veranlassen.
Die Betroffenen haben die Möglichkeit, Einspruch gegen Unterbringung und Zwangsbehandlung zu erheben und bekommen einen anwaltlichen Pflichtverteidiger zugewiesen, was jedoch in den wenigsten Fällen zu einer Aufhebung der Unterbringung/Zwangsbehandlung führt, da die Gerichte den Ärzten in aller Regel Folge leisten.

Psychiatrische Folter unter dem Deckmantel der Medizin
PsychiaterInnen, Krankenhauspersonal und GesetzgeberInnen behaupten, zum Wohle der Betroffenen zu handeln und Hilfe zu leisten. Im Gegensatz zur ärztlichen Behandlung nicht psychiatrisch diagnostizierter Menschen, die der Einwilligung der Patienten bedarf, erfolgen „Behandlung”, Unterbringung und „Betreuung” in der Zwangspsychiatrie auch ohne Einwilligung der Betroffenen und damit ohne Berücksichtigung dessen, ob diese selber der Ansicht sind, es sei zu ihrem Wohle.
Der Freiheitsentzug wird häufig begründet mit der Zuschreibung von Personen als „selbst- oder fremdgefährdend”. Hierbei handelt es sich nicht um das Resultat begangener Straftaten - was als Grund für die Inhaftierung ‚normaler” Straftäter gilt -, sondern um eine subjektive Unterstellung potentiellen zukünftigen Verhaltens einer Person, der ihre Verantwortlichkeit abgesprochen wird. Die Internierung in psychiatrischen Anstalten gerät somit zu einer Art von Schutzhaft.
Aufgrund des Fehlens der Einwilligung eines „Patienten” in psychiatrische Behandlung kann diese weder als medizinisch oder therapeutisch noch als Hilfeleistung gelten, sondern muß als schwere Menschenrechtsverletzung und als ein autoritärer und paternalistischer Akt bewertet werden.

Pychiatrische Folter und psychiatrische Ideologie im Dienst sozialer Kontrolle und Herrschaft
Edward Peters, der sich in seinem Buch „Folter. Geschichte der peinlichen Befragung”8 mit Wesen und Zweck der Folter befasst, konstatiert, dass ein „spezielles Element der Folter [...] die Quälerei” ist, „der jemand seitens einer staatlichen Instanz aus vorgeblich öffentlichem Interesse unterworfen wird” (S.23). Folter soll demnach als „Ausdruck der Auffassung einer Regierung über die staatliche Ordnung” gesehen werden (S.10). Ziel der Folter kann auch sein, „den Willen des Opfers zu brechen”, damit es sich einem System und einer Ideologie unterwirft (S.208). Dabei setzt „Jede Ideologie [...] ein Menschenbild voraus, eine Vorstellung davon, was menschliche Wesen sind und wie mit ihnen umgegangen werden muß, um die Gesellschaft aufbauen zu können, die die jeweilige Ideologie fordert” (S.210).
Auch hinter psychiatrischer Folter stecken bestimmte Vorstellungen über eine gesellschaftliche Ordnung und politische Ziele, eine Ideologie und ein dem zugrunde liegendes Menschenbild:
auf der einen Seite das Bild des idealtypisch vernünftigen und rational denkenden Menschen und eine gesellschaftlich konstruierte Norm für einen „gesunden” und „normalen” Menschen, der den gesellschaftlichen und ökonomischen Gegebenheiten angepaßt ist.
Im Gegensatz dazu steht auf der anderen Seite der unvernünftige, irrationale „Geisteskranke”, der stört, verunsichert, nicht funktioniert und weniger verwertbar und nützlich für Gesellschaft und Wirtschaft ist.
Auch der US - amerikanische Psychiatriekritiker und Psychiater Ron Leifer geht von dem Bestehen einer psychiatrischen Ideologie aus:9
„Das medizinische Modell gibt vor, wissenschaftlich zu sein, aber es funktioniert wie eine Ideologie. Es ist eine Ideologie, weil es die Ähnlichkeiten zwischen ‚medizinischer Krankheit” und "geistiger Krankheit” hervorhebt, nämlich, das beide Leiden und Unvermögen nach sich ziehen. Und es leugnet die Unterschiede, nämlich, dass das aus ‚medizinischer Krankheit" entsprungene Leiden und Unvermögen durch nachweisbare Veränderungen im Körper verursacht worden ist, während das aus "geistiger Krankheit" hervorgegangene Leiden und Unvermögen keine nachweisbaren körperliche Ursachen hat und stattdessen zurückzuführen ist auf Sprache (speech), Gefühle und soziales Verhalten (social conduct).

"Das soziale Interesse, welches durch das medizinische Modell bedient wird, ist das öffentliche Mandat für einen höheren Grad an sozialer Kontrolle, als es über die Herrschaft des Gesetzes gewährleistet werden kann. Indem es bestimmtes Verhalten als geistige Krankheit etikettiert, [...] ermöglicht und rechtfertigt das medizinische Modell eine außer-gesetzliche, verdeckte Form von sozialer Kontrolle. Im Gegensatz zu Personen, die als körperlich krank diagnostiziert werden, [...] werden Personen, die als schwerwiegend geistig krank "diagnostiziert" wurden, ihrer Freiheit beraubt, ohne Anklage oder Verhandlung und werden gezwungen, Drogen zu nehmen und andere "Behandlungen" gegen ihren Willen zu erfahren. Im Lichte des medizinischen Modells erscheinen diese Menschenrechtsverletzungen als medizinische Behandlung und werden als solche gerechtfertigt." (Leifer)

"Das medizinische Modell entwickelte sich als Ideologie in einem historischen und politischen Kontext", nämlich dem der europäischen Aufklärung. Denn der moderne Staat einer aufgeklärten Gesellschaft, die sich für eine freie hält, kann es sich nicht mehr leisten, über Strafgesetze oder willkürliche Erlasse Menschen ihrer Freiheit zu berauben, die keine Straftat begangen haben, sondern sich nur ungewöhnlich verhalten bzw. denken oder stören. Daher brauchen diese Gesellschaften das medizinische Modell (die psychiatrische Ideologie), um die soziale Kontrolle ausüben zu können."

Zusammenfassung

Die Folter und die Schaffung von Ausschlussgebieten durch Wegsperren in Institutionen und durch soziale Ausgrenzung entspringt dem gesellschaftlichen Bedürfnis, Menschen der politisch, sozial und wirtschaftlich gewünschten Norm anzupassen, indem der Versuch unternommen wird, sie glauben zu lassen, es sei zu ihrem Wohle oder sie zumindest zu überwachen, unerwünschtes Verhalten einzudämmen bzw. mißliebige Personen aus dem öffentlichen Leben fernzuhalten.


1. Zu der Wirkweise von Psychopharmaka siehe u.a. Peter Lehmann: "Der chemische Knebel. Warum Psychiater Neuroleptika verabreichen" Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1990 [DEUTSCH] sowie: Breggin, Peter: Giftige Psychiatrie. Band 1. Heidelberg: Carl Auer Verlag 1996 [ENGLISH]
2. Weitere Informationen zu Elektroschocks: Breggin, Peter: auf dem Weg zum Verbot des Elektroschocks. Protokoll der Anhörung des Psychiaters Peter Breggin vor dem San Francisco City Services Committee vom November 1990. In: Statt Psychiatrie. [ENGLISH]Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1993. Auch nachzulesen unter:
http://www.bpe-online.de/index-sik.htm [DEUTSCH]
3. Fallbeispiele siehe "Berichte aus der Wirklichkeit" unter: http://www.psychiatrie-erfahrene.de/berichte.htm [DEUTSCH]
4. Breggin, Peter: auf dem Weg zum Verbot des Elektroschocks. In: Statt Psychiatrie. [ENGLISH] Berlin: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 1993, S. 162 oder unter: http://www.bpe-online.de/index-sik.htm [DEUTSCH]
5. http://www.psychiatrie-erfahrene.de/io11/kolonialisierte_subjekt.htm [DEUTSCH]
6. Zum psychiatrischen Krankheitsbegriff siehe z. B. Szasz, Thomas S.: Geisteskrankheit - Ein moderner Mythos. [DEUTSCH] (The myth of mental illness. [ENGLISH]) Zuerst veröffentlicht in American Psychologist, 15, 1960, S.113 - 118. Nachzulesen unter: http://www.psychclassics.yorku.ca/Szasz/muth.htm [ENGLISH]
7. Bundesrats-Drucksache 865/03, nachzulesen unter:
http://www.vgt.-ev.de/Gesetze/ BtAndG03.pdf [DEUTSCH]
8. Peters, Edward: Folter. Geschichte der peinlichen Befragung. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1991[DEUTSCH]
9. Alle folgenden Zitate sind übersetzt aus: Leifer, Ron: A Critique of Psychiatry and an Invitation to Dialogue. Veröffentlicht in Ethical human Science and Services, Dezember 27, 2000 auch nachzulesen unter: http://www.freedom-of-thought.de/zwang/leifer.htm [ENGLISH]
Anmerkung: Aus pragmatischen Gründen wurde in diesem Text auf die geschlechtsneutrale Schreibweise verzichtet.
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Amnesty Position zur Folter in der Psychiatrie

Wo steht z.B. Amnesty International (AI) als eine der bekanntesten Menschenrechtsorganisationen in der Frage der Anerkennung von Zwangspsychiatrie als Folter? Den bahnbrechenden Beschluß hat 1991 das oberste internationale Gremium von AI, der alle zwei Jahre tagende Internationale Rat, in Yokohama unter dem Titel „Psychiatrische Einsperrung “ (psychiatric confinement) gefasst. Er lautet: „Der Internationale Rat entscheidet, dass sich AI´s Mandate zu grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung von Gefangenen auf alle Personen erstreckt, die mit Zwang in psychiatrischen Institutionen festgehalten werden, obwohl AI nicht auf den Bereich von Behandlung eingeht, der von AI nach AI-eigener Definition für authentisch medizinisch erachtet wird.”

Damit hat AI sich selbst in die Lage versetzt, die Kriterien festzulegen, was "authentisch medizinische" Behandlung ist und wie sie sich von nicht-medizinischer, mit Zwang und Gewalt durchgeführter Mißhandlung unterscheidet. Das Problem dabei ist: Einerseits kann nahezu jede Strafhandlung auch einverständlich, z.B. in einem sexuellen Spiel, ausgeübt werden. Andererseits muß ausgeschlossen werden, dass einfach ein Staat medizinische Institutionen zur Fassade von Folterzentren macht. Für die Unterscheidung ums Ganze bleibt dann als Kriterium nur das Einverständnis des Betroffenen übrig, seine Einwilligung oder seine Ablehnung einer Behandlung. Klassisch heißt das „informed consent” und ist die Grundlage für medizinische Behandlung, weil ohne Einverständnis von vornherein schon der hippokratische Eid, nämlich nicht zu schaden, verletzt wird, da der zum Ausdruck gebrachte Wille der Person gebrochen wird. Deshalb kann das Ergebnis der Definition von "authentisch medizinisch" von einem menschenrechtlichen Standpunkt aus nur sein: Zwangspsychiatrie ist weder mit Medizin noch Moral vereinbar, sondern politisch motivierte Folter und Entwürdigung.

Da die Konkretisierung dessen, was "authentisch medizinisch" heißt, noch aussteht, geht AI
- bildlich gesprochen - seit 1991 mit der Klassifizierung von Zwangspsychiatrie als Folter schwanger, ohne sich dessen klar bewußt geworden zu sein.

Redaktion Zwang

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